Veröffentlicht am 22. Dezember 2011 von FACETTEN-Magazin-Redaktion
Viele hetzen oder schlendern achtlos
an der Backsteinmauer vorbei. Andere sehen sich wenigstens einzelne der
12 großformatigen Portrait-Fotos, die seit drei Wochen an ihr
hängen. Und dann sind da noch die, die ganz genau hingu- cken, jedes
Bild mustern, sich die knappen Informationen über die Por- traitierten
durchlesen und sogar den Aushang studieren, der den Sinn und Zweck der
Ausstellung an Neuköllns Karl-Marx-Straße preisgibt.
“Die haben was mit der Kirche zu tun.
Gemeindemitglieder?”, vermutet ein Passant, der der Fotostrecke offenbar
kaum Aufmerksamkeit schenkte. Denn dem ist nicht so. Die Bilder in
direkter Nachbarschaft zur Magdalenenkirche sind das Er- gebnis des Projekts “Wir machen Neukölln” und zeigen Geschäftsleute, die an der Karl-Marx-Straße und im angrenzenden Richardkiez ihre Läden haben. Thomas Brenner ist dabei, der Chef der direkt gegenüber liegenden Körner-Apotheke, die seit vielen Wochen Baustellenrabatte auf einige Arzneimittel gibt, damit Kunden der Aufenthalt in Neuköllns Hauptstraße wenigstens finanziell in guter Erinne- rung bleibt. Auch Bao Ngonc Wro- na-Hong, Änderungsschneiderin Ma- rija Zajac, Inken Planthaber, Zeitungs- laden-Inhaber Varinder Kumar Ka- poor, Luis Enrique Drews Albano, Herr Mier und Gönül Hürriyet Aydin
zeigen wie einige andere Gesicht und geben zugleich einen Einblick in
die gewerbliche wie auch kulturelle Vielfalt der Gegend. “Es sind
vorrangig solche, die im Kiez aktiv sind und ihn mitprägen”, erklärt
Projektleiterin Marie Wilz die Auswahl.
Herausgekommen sei eine Art Hommage an die kleinen Kiezläden,
die ob des Umbruchs in Neukölln jenseits vom Hype schwierige Zeiten
erleben: “Sie haben nicht nur mit steigenden Mietkosten, sondern auch
mit ungleich bemittelteren neuen Konkurrenten zu kämpfen.
So ernten die früheren Bewohner immer weniger die Früchte ihrer
langjährigen Arbeit.” Angedacht sei auch, die Fotoserie mit Gewerbetrei-
benden anderer Neuköllner Kieze fortzu- setzen, sie dann vielleicht
sogar in einem Album zu sammeln.
Vorher sollen aber die 12 aktuellen, von der Fotografin Christina Stivali abgelichteten Wir machen Neukölln-Protagonisten
unter ein Dach im Richardkiez umziehen. Genaues stehe aber noch nicht
fest, sagt Marie Wilz, deren Projekt mit 5.000 Euro aus Mitteln der
[Aktion! Karl-Marx-Straße] und des Quartiers- managements
Richardplatz-Süd finanziert wurde: “Wir waren positiv überrascht, dieses
Jahr noch eine Förderung zu bekommen, zumal die Planung extrem
kurzfristig war. Aber es zeigt uns, dass das Interesse am Thema da ist.
Letztendlich haben wir das komplette Projekt in weniger als vier Wochen
durchgezogen.” Die guten Kontakte der Finanziers zu den Geschäftsleuten
verschaffte den Ausstellungsmacherinnen einen Vertrauensvorschuss.
“Trotzdem war ich überrascht, wie schnell sie zugestimmt haben und vor
allem, wie wenig Scheu sie davor hatten, fotografiert zu werden und dann
ihr Portrait überdimensional auf der Straße hängen zu sehen”, erinnert
sich Marie Wilz, die selber im Kiez lebt. “Wir waren wirklich
beeindruckt von der Offenheit und der Herzlichkeit aller Gewerbe- treibenden.”
Faktoren, die im Alltag der Einzelhändler und Dienstleister nicht un-
wesentlich zum wirtschaftlichen Überleben in Neukölln beitragen.
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